Patientenorientierung führt zu gut orientierten Patienten

Neue Technologie verschafft Konsumenten beispiellose Macht: Der mündige Patient fordert mehr Mitspracherecht! Wie man mit Patienten Centricity Menschen zu Gesundheitsmanagern macht, Kostensteigerungen ausbremst und Qualität und Image des gesamten Gesundheitssystems verbessert.

Patientenorientierung für gut orientierte Patienten

In der digitalen Welt haben Verbraucher besseren Zugang zu Informationen und genießen mehr Wahlmöglichkeiten bei dem, was sie in Betracht ziehen, kaufen oder mit anderen teilen. Stimmgewaltig unterstützen sie auf Social Media Marken oder schaden ihnen nachhaltig, erkunden Werte und hinterfragen schonungslos Haltungen. Die Verantwortlichen im B2C leben schon lange in dieser neuen Realitaät, im B2B erkennen Marketingmanager nun ebenfalls, wie wichtig enge Kundenbeziehungen und erstklassige Produkterlebnisse sind.

Engagierte Gesundheitsmanager im Netz

Im Gesundheitswesen herrscht leider generell eher Stillstand bei der „Consumer Centricity“, war der Handlungsdruck bisher doch gering: Die Deutschen sind mit ihrem Gesundheitssystem recht zufrieden (1,2). Aber jetzt wollen Patienten nicht länger nur passive Empfänger medizinischer Leistungen sein, sondern aktiv bei der Behandlung (mit)entscheiden und zum Manager ihrer eigenen Gesundheit werden. Der Stereotyp des klügeren „Halbgott in Weiß“ prägt hingegen weiterhin die Haltung vieler Gesundheitsorganisationen und Regierungen, die unter dem Vorwand des Patientenschutzes Bürger von zahlreichen Informationen kategorisch ausschließen. Moderne Technikplattformen verwöhnen ihre Besucher im Alltag mit schneller, bequemer Interaktion, offenem Dialog und persönlicher Information. Dasselbe erwarten die Menschen von den Institutionen im Gesundheitswesen: Sie fordern Dialog auf Augenhöhe, Mitspracherecht und Akzeptanz, reibungsfreie Abläufe und raschen Zugang zu allen relevanten Informationen – immer und überall.

Letztendlich wollen sie mehr Verantwortung für ihre eigene Gesundheit übernehmen. Das wiederum liegt auch im Interesse anderer Akteure im Gesundheitswesen, Pharmaunternehmen, Versicherungen oder Arbeitgeber, die seit langem mehr Patientenorientierung fordern. Mit mehr Beteiligung und Delegation von Verantwortlichkeiten lassen sich mittel- bis langfristig enorme Kosten sparen, sei es durch effektivere Prävention oder bessere Compliance. Höhere Erfolgsquoten in der Therapie erhöhen zudem das Vertrauen und damit die Loyalität der Behandelten. Eine konsequente Patientenorientierung (oder neudeutsch: „Consumer Centricity“) ist daher kein Luxus, sondern dringende Notwendigkeit bei gut orientierten, mündigen Patienten. Aber wie bitte schön erreicht man nachhaltige Consumer Centricity?

CX, KI und MVP als moderne Erfolgsrezepte

In vielen Unternehmen geht die neue CX-Orientierung stark mit digitaler Transformation einher: Plattformen im Netz bieten unzählige Möglichkeiten zur schnellen individuellen Information und zum gegenseitigen Austausch. Die Verarbeitung persönlicher Patientendaten wie Interessen, Bedürfnisse oder Verhalten mittels KI trägt maßgeblich zur Verbesserung von Produkten und Dienstleistungen bei. Die Übernahme von Routinearbeiten durch digitale Technologien schafft Zeit fürs Zuhören, miteinander Reden – letztendlich für den Patienten.

Ziel aller CX-Aktivitäten ist aber nicht mehr Automatisierung, sondern vor allem mehr Menschlichkeit, die Stärkung des Patientenwohls und deutlich weniger Irrwege für den Einzelnen auf seiner Reise durch das heimische Gesundheitswesen. Um nachhaltig das Vertrauen ins System und die jeweiligen Institutionen zu stärken, darf es nicht bei leeren Absichtsbekundungen in Unternehmenspräsentationen bleiben: Berechtigte Erwartungen müssen erfüllt werden, Daten dürfen nicht missbraucht werden. Patientenorientierung erfordert einen grundsätzlichen Kulturwandel mit einer klaren Vision, einer Gesamtstrategie und vor allem jeder Menge Transparenz.

Treiber dieses Wandels kann das Marketing sein, wenn es sich als Change Management versteht. In manchen Unternehmen setzt der CIO die nötigen Impulse oder ein abteilungsübergreifendes Team. In jedem Fall gilt es, alle Mitarbeiter und Führungskräfte dazu zu bringen, sich in die Lage des Patienten hineinzuversetzen und sicherzustellen, dass der Patient mit seinen Bedürfnissen bei allen Entscheidungen, von der Arzneimittelentwicklung bis zur Markteinführung, von der Administration bis zum Service stets im Mittelpunkt steht. Ein solcher Kulturwandel braucht Zeit, in der digitalen Welt erwarten Konsumenten und Patienten allerdings schnelle Ergebnisse. Auch hier machen es Tech-Unternehmen mit ihrem „Minimum Viable Approach“ (kurz: MVP) vor.

Betablocker als Betaversion?

In der IT wird nicht darauf gewartet bis ein neues Produkt perfekt ist, sondern es wird dem Konsumenten erst einmal als Betaversion angeboten und dann kontinuierlich weiterentwickelt. Für die Healthcare- und Pharmabranche stellt die schnelle Einführung von Neuerungen eine besondere Herausforderung dar: Medizinische Innovationen durchlaufen zurecht zahlreiche Test-, Prüf- und Abstimmungsrunden, bevor die offizielle Zulassung erfolgt. Wirksamkeit und Sicherheit sind oberstes Gebot, immerhin geht es im Zweifelsfall um Leben oder Tod. Diese Maxime gilt aber in erster Linie für Bereiche, die einen direkten Einfluss auf die Gesundheit der Behandelten haben. Wenn es um das Wohlbefinden und Engagement der Patienten geht, um bequemen Zugang und offenen Dialog, tut es auch der Gesundheitsbranche gut, agiler und schneller zu werden.

In einer internationalen Studie zum Thema CX (3) werden daher folgende erste Schritte zur Implementierung einer echten Patientenorientierung empfohlen:

1. Ganzheitliche Optimierung der Patienten-Journey und Consumer Experience

Diese beginnt lange vor dem Arzt- oder Klinikbesuch, erstreckt sich auf den Alltag und bezieht Pharmaforschung, Ärzte, Familien und Freunde aktiv mit ein. „Krankheitsbekämpfung ist Teamarbeit“ titelt BMS derzeit so schön in ihren Anzeigen zur Krebsbekämpfung.

2. Überwindung der fragmentierten Healthcare Journey

Vielleicht schaffen wir es mit zunehmender Patientenorientierung (z.B. durch strategische Allianzen und über passende Plattformen) endlich die ineffiziente, den Patienten frustrierende und manchmal sogar gefährliche Fragmentierung des Gesundheitswesens zu überwinden. Die Realisierung der e-Patientenakte wäre zumindest ein erster Schritt!

3. Mehr individuelle Personenzentrierung

Statt Produkte, Services und CX-Erlebnisse für demografische Großgruppen zu entwickeln, empfiehlt es sich, auf individuelle Wünsche und Bedürfnisse einzugehen. Das erfordert Investitionen in IT und das Einverständnis der Patienten, aber wenn dabei bessere Produkte und bessere CX für Patienten rauskommen, rechnet sich das für alle Beteiligten.

Fortschritte in diesen Punkten stärken also langfristig das Engagement der Konsumenten bzw. Patienten und somit das Vertrauen in das Gesundheitswesen allgemein. Schließlich reist es sich gemeinsam doch viel entspannter als allein.

Quellen:
1 https://www.ipsos.com/de-de/deutsche-glauben-viele-koennen-sich-keine-gute-gesundheitsversorgung-leisten
2 https://www.continentale.de/documents/80036/673562/Continentale-Studie_2017/aa414f22-352c-4e8c-8f0f-1d8366e5acfd
3 http://www.prophet.com: Making the Healthcare Shift: The Transformation to Consumer-Centricity, Copyright 2019

Autoren
I. Wächter-Lauppe, CEO der Fullservice Agentur Wächter Worldwide Partners und der Brandguards, im Team mit C. Jaeger, G. Perfahl, A. Keilhauer, Leiterinnen der Digital-, Pharma- und PR-Units der Agentur, und J. Köhler von den Brandguards, der kreativen Unternehmensberatung für Marken mit Schwerpunkt Change Management.
Besonderer Dank gilt dem Worldwide Partners HQ für den Kontakt zu Prophet.
www.waechter.teamwww.brandguards.dewww.worldwidepartners.com
mail: iwl@brandguards.de

Veröffentlicht in Healthcare Marketing, 7/2019 in der Rubrik “Übern Tag hinaus denken.” Dort äussern sich Führungskräfte aus den GWA Healthcare-Agenturen zu einem Thema ihrer Wahl. s. www.gwa.de und www.healthcaremarketing.eu

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