New Work statt Homeoffice

Die Unternehmerin Ingrid Wächter-Lauppe reflektiert ihre (bereits im letzten Jahrhundert) gemachten Erfahrungen mit New Work und mobilem Arbeiten. Wie sie heute dazu steht? Begeistert von New Work (obwohl die Realisierung recht anstrengend sein kann), aber durchaus kritisch gegenüber Homeoffice, im Gegensatz zur heute vorherrschenden Meinung in den Medien.

Wundervolle Erinnerungen an New Work im letzten Jahrhundert, weniger wundervolle ans Homeoffice

Eigenverantwortung, Selbstbestimmung, Definition der eigenen Aufgaben, flache Hierarchien, Teamarbeit, Agilität, Flexibilität – alles, was heute unter dem Begriff New Work angepriesen wird, konnte ich bei meinem ersten Arbeitgeber schon vor vielen Jahrzehnten verwirklichen, gelegentliches Homeoffice inklusive. Ich nahm das Angebot in Anspruch wenn es galt eine Strategie auszuformulieren. In der Abgeschiedenheit unseres Domizils auf dem Lande gelang dies viel effektiver. Das Unternehmen war mit dieser New Work-Kultur extrem erfolgreich – und ich war es auch!

Nach zehn Jahren, vielen tollen Projekten und stets neuen Herausforderungen hatte ich allerdings genügend Karriere gemacht (und war die Bezeichnung “Rabenmutter” leid). Mit dem Unternehmen vereinbarte ich den Abschied vom Angestelltendasein im Büro und tauschte es gegen die alleinige Verantwortung im Homeoffice. Ich gewann Zeit, weil ich nicht mehr an internen (Macht-)Absicherungsmeetings teilnahm. Doch dann ereilte mich das Schicksal, das auch heute Teilzeitkräften und Homeoffice-Verfechtern droht: Neue Kolleg*innen kannten mich nicht mehr, alte Auftraggeber*innen vergaßen mich, wenn schnell ein Projekt zu besetzen war. Von Visionen erfuhr ich – wenn überhaupt – erst mit großer Verspätung. Mir fehlte der informelle Austausch mit den Kolleg*innen, die Inspiration aus einer beiläufigen Bemerkung an der Kaffeemaschine. Besonders vermisste ich aber die kreative Zusammenarbeit, den Teamspirit und die Leidenschaft für das gemeinsame Ziel. Die Folge: Irgendwann trennten wir uns.

Vom Arbeiten am Küchentisch erhoffte ich mir (wie so viele heutzutage) vor allem eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Leider erfüllte sich diese Hoffnung für mich nicht. Schon damals, lang vor Corona, fraßen die Aufgaben als Putzfrau, Köchin, Hilfslehrerin, Wächterin über die Ordnung und Hobby-Chauffeurin für kleine Sportler und Musiker weit mehr als die gesparte Zeit und mündeten in stressigen Nachtschichten. Für echte “Quality Time” in der Familie und gemeinsame Gespräche blieb keine Zeit…

Ein faszinierendes anstrengendes Experiment

Damals fanden wir zwei organisatorische Lösungen: Einerseits die Gründung einer Schülergruppe, in der eine angestellte Erzieherin für fünf Kinder von Karrierefrauen aus der Nachbarschaft die Aufgabe der Nachwuchsmanagerin übernahm und strikt reservierte Familienzeit ab 17 Uhr bis zum Schlafengehen, in der kein Gedanke an den Job verschwendet wurde. Andererseits der Aufbau eines eigenen Familienunternehmens mit New Work-Konzept, in dem wir Menschen mit unterschiedlichsten Perspektiven zusammenbrachten, um kreative Marketing-Lösungen für unsere Kund*innen zu entwickeln. Und zwar solche Lösungen, mit denen Sie Großes in Ihren Unternehmen bewegen!

Wir feilen nach wie vor unentwegt an unserer Unternehmenskultur, unseren Kollaborationsmodellen, agilen Prozesstechniken, flachen Organisationsstrukturen und Freiräumen für die Mitarbeiter*innen. Teamspirit, Purpose, Lern- und Mutkultur sowie hohe Transparenz sind unsere verbrieften Werte, die uns helfen, New Work-Konzepte zu verwirklichen. Dabei arbeiten wir mit Mitarbeiter*innen und Freien, die irgendwo auf der Welt sitzen – gelegentlich auch im Homeoffice. Vertrauensarbeitszeit und mobiles Arbeiten halfen mir damals, wie heute unseren Mitarbeitern mit Kindern, Vormittagsschulausfälle und andere Notsituationen zu bewältigen.

„New Work ist harte Knochenarbeit”, schreibt S. Risch in der Brand Eins Edition von 2018. Sie kostet Zeit, Kraft und Geld. „Und es ist ein wunderbares Experiment“, bei dem jedes Unternehmen und jede(r) Mitarbeiter*in ihren oder seinen eigenen Weg finden muss. Auch das habe ich beim Aufbau unseres Unternehmens gelernt: Freiheit und Selbstbestimmung sind nicht für alle Aufgaben und Mitarbeiter*innen gleichermaßen geeignet. Manche Menschen brauchen feste Leitplanken und Regeln. Andere postulieren zwar, dass sie selbstbestimmt arbeiten und unternehmerisch handeln wollen, scheuen aber die damit verbundene Verantwortung. So mancher Hierarchiefanatiker lässt ungern los, hat Schwierigkeiten sich vom Perfektionismus zu verabschieden, Fehlertoleranz zu üben und das Unternehmen als lernenden Organismus zu verstehen. Und selbst beim besten Willen lassen sich widersprechende Forderungen nach Agilität vs. Qualität oder Schlechtwettermanagement vs. Selbstbestimmung oft nicht unter einen Hut bringen.

Homeoffice ist gut, soziale Nähe ist besser

Das Homeoffice hat durch die Corona-Krise eine ungeplante Beschleunigung erfahren: Selbst die letzten Zweifler*innen haben begriffen, dass Präsenzkontrolle wenig bringt. Fleißige Mitarbeiter*innen verwandeln sich zu Hause nicht plötzlich in Faulenzer. Menschen die schon vorher selbstbestimmt arbeiten, sind daheim oft produktiver. Und auch die, die nach genauen Regeln ihre Aufgaben arbeiten, können vielleicht in der Einsamkeit eines ruhigen, ungestörten Heimarbeitsplatzes vielleicht sogar noch einen Takt zulegen. Da ist es jedoch wahrscheinlich, dass ein Roboter über kurz oder lang diese Aufgaben noch schneller und besser erledigt. Aber auch für nicht durch KI bedrohte Arbeitsplätze gilt trotz verbesserter Technologie nach wie vor: Mobiles Arbeiten ist nicht immer praktikabel und bringt nicht für jeden Menschen und jedes Unternehmen die erhofften Erleichterungen.

Typische Herausforderungen

  • Soziale Kontakte leiden: Vorschaubilder im Videochat und streng getaktete Onlinemeetings ersetzen menschliche Nähe in keinster Weise.
  • Kreative Höchstleistungen erfordern Teamarbeit: Zumindest zu Beginn und Ende eines Kreationsprozess kommen Mitarbeiter*innen schneller zu besseren Ideen, wenn sie mit ihren Kollegen*innen zusammensitzen. Wir sehen das regelmäßig an unseren freien Kreativen.
  • Training-on-the-job gelingt am besten neben erfahrenen Kolleg*innen: Man schaut sich vieles ab, spitzt die Ohren oder fragt spontan nach.
  • Teamspirit entwickelt sich nur schwer über Videotelefonie: Die gemeinsame Sinnsuche und Identifikation mit der Mission braucht Leidenschaft und das persönliche Miteinander.
  • Der informelle Austausch in der Teeküche oder Kantine fehlt: Aus dem kurzen Plausch entwickeln sich nicht nur tolle Ideen, sondern oftmals bereichernde Freundschaften.

 

Die Nachteile sozialer Distanz wiegen für uns schwer. Deshalb bieten wir unseren Mitarbeiter*innen zwar die Möglichkeit von Remote Work, freuen uns aber über jede(n), die/der weiterhin gerne ins Büro geht. Dafür versuchen wir durch agile Organisation, sinnstiftende Aufgabenverteilung und unsere gelebte Mut- und Lernkultur das Berufsleben unserer Teammitglieder so liebens- und lebenswert wie möglich zu gestalten.

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