Digitale Barrierefreiheit: Chancen und erste Schritte für Unternehmen
Mit dem European Accessibility Act und seiner nationalen Umsetzung, dem Barrierefreiheitsstärkungsgesetz, treten ab 2025 in Deutschland klare gesetzliche Anforderungen an digitale Barrierefreiheit in Kraft.
Diese Regelungen sollen sicherstellen, dass Informationen, Produkte und Dienstleistungen auch im Internet für alle Menschen zugänglich und verständlich sind. Als unverzichtbaren Bestandteil sozialer Nachhaltigkeit drückt digitale Barrierefreiheit das Engagement von Unternehmen für Inklusion und Vielfalt aus.
Doch wer ist konkret von den neuen Vorgaben betroffen, und wie können auch Unternehmen, die nicht zur Umsetzung verpflichtet sind, sich ihren Werten entsprechend positionieren und Verantwortung übernehmen?
Die gesetzlichen Grundlagen
Bei der Vielzahl an neuen Gesetzen und Vorgaben verliert man schnell den Überblick. Zudem erschweren Verweise von einem Standard auf den nächsten das Verständnis für Unternehmen und Entwickler. Ein zentraler Ausgangspunkt der Gesetzeslage ist der European Accessibility Act (EAA), der die Mitgliedstaaten der Europäischen Union dazu verpflichtet, Gesetze und Verordnungen zu erlassen, die Barrierefreiheit europaweit sicherstellen. In Deutschland wurde dieser Anspruch durch das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) umgesetzt, das am 16. Juni 2021 verabschiedet wurde und nach einer Übergangszeit am 28. Juni 2025 in Kraft tritt. Dieses Gesetz fordert von deutschen Unternehmen, ihre digitalen Angebote barrierefrei zu gestalten und die Anforderungen des EAA zu erfüllen.
Zur praktischen Umsetzung verweist das BFSG auf die Norm EN 301 549, die spezifische Richtlinien für die barrierefreie Gestaltung von Produkten und Dienstleistungen enthält, die unter den EAA fallen. Für Webseiten und Anwendungen wird in der Norm EN 301 549 direkt der internationale Standard der „Richtlinien für Barrierefreie Webinhalte“ (Web Content Accessibility Guidelines, WCAG) auf dem Level AA empfohlen. Die WCAG umfassen eine Sammlung von Prinzipien, Richtlinien und Erfolgskriterien, mit denen die Barrierefreiheit einer Website oder App überprüft werden kann. Diese Erfolgskriterien sind in drei Stufen unterteilt – A, AA und AAA –, wobei AAA die höchste Stufe der Barrierefreiheit darstellt.
European Accessibility Act (EAA)
Wird in Deutschland umgesetzt durch
Barrierefreiheits- stärkungsgesetz (BFSG)
Verweist zur praktischen Umsetzung auf
Norm EN 301 549
Empfiehlt für Webseiten die Umsetzung von
Accessibility Guidelines, WCAG)
Auf Level AA &
Version 2.1
Wer ist betroffen?
Zu den im Barrierefreiheitsstärkungsgesetz beschriebenen Dienstleistungen gehören insbesondere: Telefon- und Messengerdienste, Bankdienstleistungen, elektronischer Geschäftsverkehr, E-Books und Dienstleistungen im Personenverkehr.
Für gewerbliche Webseiten ist der Aspekt “Elektronischer Geschäftsverkehr” besonders relevant, denn damit sind grundsätzlich alle geschäftlichen Transaktionen gemeint, die über die Webseite stattfinden. Dazu zählen neben E-Commerce Webseiten auch Formulare zur Kontaktaufnahme, Terminbuchung und andere Interaktionen. Somit sind nicht nur Unternehmen mit Online-Shop betroffen, sondern auch beispielsweise ein Friseursalon, der ein Online-Formular zur Terminbuchung anbietet.
Vom Barrierefreiheitsstärkungsgesetz ausgenommen sind Kleinstunternehmen mit weniger als zehn Beschäftigten oder einen Jahresumsatz unter zwei Millionen Euro. Diese Unternehmen müssen ihre Webseiten nicht zwingend barrierefrei gestalten – es sei denn, sie vertreiben Produkte über ihre Seite.
Die Vorgaben betreffen also eine breite Palette an Unternehmen und Webseiten. Die Bundesfachstelle für Barrierefreiheit bietet umfangreiche Informationen, die bei Unklarheiten hilfreich seien können. Alternativ kann Ihnen Wächter beratend zur Seite stehen, um festzustellen, ob und welche Vorgaben für Ihr Unternehmen gelten und Sie in Strategie und Umsetzung unterstützen.
Auch wenn eine Webseite nicht zwingend den beschriebenen Anforderungen entsprechen muss, ist es vorteilhaft, Barrierefreiheit dennoch grundlegend zu berücksichtigen. Einige Maßnahmen lassen sich ohne großen Aufwand umsetzen und eine freiwillige Optimierung bringt zahlreiche Vorteile mit sich – für Unternehmen und für Nutzer:innen.
Barrierefreiheit lohnt sich für alle
Auch Unternehmen, die nicht gesetzlich zur Barrierefreiheit verpflichtet sind, profitieren erheblich von der Optimierung oder Entwicklung barrierefreier Webseiten. Ein kurzes Szenario: Herr B. möchte online einen neuen Fernseher kaufen. Der Button „Lieferbarkeit prüfen“ ist beim Anklicken von Rot auf Grün gesprungen. Trotz seines Kaufentschlusses hat das Unternehmen Herrn B. nicht als Kunden gewinnen können.
Nicht nur Herr B., sondern weitere vier Millionen Menschen in Deutschland haben eine Farbsehschwäche und können rot und grün nicht unterscheiden.
Das Beispiel zeigt, welche enorme Auswirkung eine unscheinbare Designentscheidung auf die Zugänglichkeit der Inhalte und somit auch auf die Reichweite des Unternehmens haben kann. Eine Optimierung der Barrierefreiheit macht die Inhalte für Nutzer:innen zugänglicher, unabhängig von ihren individuellen Einschränkungen. Zudem wird die Benutzerfreundlichkeit verbessert, Nutzer:innen finden sich leichter zurecht und erleben eine klar strukturierte Navigation.
Nicht nur die Usability einer Webseite kann durch das Umsetzen der Richtlinien verbessert werden, sondern auch die Sichtbarkeit bei Suchmaschinen. Barrierefreie Inhalte sind suchmaschinenfreundlicher, was zu besseren Rankings und ebenfalls zu einer größeren Reichweite führt.
Darüber hinaus zeigt das Engagement für Barrierefreiheit, dass ein Unternehmen Verantwortung für Inklusion und soziale Gerechtigkeit übernimmt, wodurch Vertrauen und ein positives Image bei Kund:innen und Partner:innen gestärkt wird. Barrierefreiheit unterstützt den Anspruch auf eine inklusive digitale Gesellschaft und trägt zur Wertsteigerung der Marke bei.
Maßnahmen zur Umsetzung einer barrierefreien Webseite
Die Vielzahl an Anforderungen und Vorgaben kann auf den ersten Blick umfangreich und unübersichtlich wirken. Daher ist es besonders wichtig, Maßnahmen zu priorisieren und eine fundierte Basis zu schaffen. Unternehmen, die erste Schritte in Richtung Barrierefreiheit unternehmen möchten, können mit diesen grundlegenden und leicht umsetzbaren Maßnahmen beginnen. Das Umsetzen dieser Checkliste schafft eine solide Grundlage, um Webseiten für alle nutzerfreundlicher und zugänglicher zu machen und Barrierefreiheit Schritt für Schritt umzusetzen.
- Kontrast
Ein Text sollte abhängig von seiner Schriftgröße mindestens ein Kontrastverhältnis von 4,5 bis 7 zum Hintergrund haben, damit er unter möglichst vielen Umständen von den meisten Personen gelesen werden kann. - Alt-Texte
Bilder und andere nicht text-basierte Inhalte sollten alternativen Text haben. So können Menschen die Inhalte auf verschiedene Arten und Weisen aufnehmen. Beispielsweise benutzen visuell beeinträchtigte Personen sogenannte Screenreader, um sich Webseiten vorlesen zu lassen. Nur mit Alt-Texten können sie Informationen zu Bildern konsumieren. - Bedienbarkeit durch die Tastatur
Nicht alle Menschen können eine Maus bedienen. Die Tastatur ist eine der häufigsten Alternativen, um durch Nutzeroberflächen zu navigieren. Die gesamte Funktionalität des Inhalts ist über eine Tastatur bedienbar, ohne dass spezifische Zeitvorgaben für einzelne Tastenanschläge erforderlich sind. - Abhängigkeit von Farben
Weltweit sind etwa 4% der Weltbevölkerung von einer Form von Farbenblindheit betroffen. Stellen Sie sicher, dass Ihre Webseite keine wichtigen Informationen durch Farben kommuniziert. Beispielsweise sollten erfolgreich abgeschlossene Aktionen nicht durch einen Farbwechsel eines Elements gekennzeichnet werden. - Saubere Programmierung
Bei der Programmierung werden alle Seitenelemente mit einem sogenannten Tag versehen. Damit auch Screenreader die Struktur der Webseite verstehen und wiedergeben können, müssen für Elemente die richtigen Tags verwendet werden (zum Beispiel für Überschriften h1, h2, …, h6 und für Aufzählungen ol oder ul).
Barrierefreiheit bietet vielfältige Vorteile: Sie fördert soziale Gerechtigkeit, verbessert die Nutzerfreundlichkeit, erweitert die Zielgruppe und kann das positive Image eines Unternehmens stärken. Die zunehmende Bedeutung von Inklusion in der digitalen Branche macht die barrierefreie Gestaltung von Webseiten zu einem wichtigen Schritt für zukunftsorientierte Unternehmen.
Angesichts der bevorstehenden gesetzlichen Anforderungen und der gesellschaftlichen Verantwortung empfiehlt es sich, Barrierefreiheit aktiv in die digitale Strategie zu integrieren. Wächter kann dabei umfassende Beratung und Unterstützung bieten– für eine inklusive digitale Präsenz, die den Ansprüchen der Zukunft gerecht wird und allen zugutekommt.
Autorin
Louisa Terbrack
Sie ist Digital Consultant bei Wächter und Teil des Digital-Teams, das gemeinsam die Webseiten von Kund*innen zukunftsfähig gestaltet. Dabei konzentriert sie sich auf aktuelle Themen wie die Einbindung von Künstlicher Intelligenz, Nachhaltigkeit und Benutzerfreundlichkeit. Mit ihrem Team entwickelt sie maßgeschneiderte digitale Lösungen, die technische Effizienz und ökologische Verantwortung miteinander verbinden.